(5.10.2010) Am Sonntag, 3. Oktober 2010, feierte die Gemeinde Stuttgart-Ost (Kirchenbezirk Stuttgart/Fellbach) zwei Dankfeste: mit einem Gottesdienst am Vormittag das Erntedankfest, mit einem Festakt am Nachmittag den Wiedereinzug in ihr angestammtes Gotteshaus, die traditionsreiche Kirche in der Einkornstraße 2. Nach einer rund einjährigen Baumaßnahme ist die aus dem Jahr 1937 stammende Kirche wieder ihrer Bestimmung zugeführt worden.
Den Gottesdienst zum Wiedereinzug feierte die Gemeinde mit Bezirksapostel Michael Ehrich – den die Apostel Jürgen Loy und Volker Kühnle begleiteten – am 23. September 2010. Am Sonntag, 3. Oktober 2010, wurde die "neue alte" Kirche in einem Festakt mit Apostel Jürgen Loy der Öffentlichkeit vorgestellt; auch Vertreter der Kommune und von an der Baumaßnahme beteiligten Firmen nahmen daran teil. (Über den Gottesdienst zum Wiedereinzug und über den Festakt wird auf der Website des Kirchenbezirks mehr berichtet.)
Da die 1937 geweihte Kirche – die man durchaus als architektonisches Kleinod bezeichnen kann – nicht mehr den heutigen Nutzungsanforderungen entsprach und auch bauliche Mängel aufwies, hatte man die jetzt fertig gestellte Baumaßnahme beschlossen.
Architekt der Kirche ist Rudolf Lempp, Schüler und Assistent von Paul Bonatz, dem Erbauer des Stuttgarter Hauptbahnhofs, von dem derzeit wegen des "Stuttgart-21"-Projekts bundesweit die Rede ist. Rudolf Lempp galt als Vertreter der konservativen Stuttgarter Schule, die auf regionale Bautraditionen und eine handwerklich solide Gestaltung setzte. Von 1927 bis 1947 war Lempp Professor für Hochbaukunde für Bauingenieure an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart, von 1947 bis 1953 leitete er die Stuttgarter Staatsbauschule.
Die solide Bauweise, auf der Lempp bestand, zeigt sich heute noch in der unveränderten Klinkerfassade, die nahezu unbeschädigt seit nun über 70 Jahren im Original besteht. Der rote Klinker prägt das äußere Erscheinungsbild der Kirche. Die Kirchenraumstrukturen weisen Merkmale des Gebäudetypus einer Basilika auf. Der Sakralraum ist dreischiffig angeordnet und zum Altar gerichtet.Durch einen Anbau im Jahr 1978 war der ursprüngliche Charakter des Gebäudes geschwächt worden; die Schlichtheit und Prägnanz des Sakralraums waren durch die Baumaßnahme damals verloren gegangen.
Mit der jetzigen Baumaßnahme wurde die Chance genutzt, den Sakralraum wieder in seinen Ursprung zurückzuführen, die Bausubstanz nachhaltig zu verbessern und einen sakralen Baukörper zu gestalten, der sowohl in den Funktionen als auch in der Materialität modernen Anforderungen gerecht wird. Daneben wurde auch ein behindertengerechter Zugang geschaffen und eine Optimierung der räumlichen Situation vorgenommen.
Die Architekten Björn Seldte (Projektleitung) und Stephan Pfäffle (Projektplanung) waren seitens der Abteilung Bau/Unterhalt der Verwaltung der Gebietskirche Süddeutschland mit der Baumaßnahme befasst. Als Bauleiter hatte die Gebietskirche Adolf Bühler (Bühler – Planen und Bauen, Reutlingen) beauftragt.
Der leitende Gedanke bei der Planung war, das Gebäude wieder dem Originalzustand anzunähern. Dabei war es den Architekten jedoch wichtig, Alt und Neu klar erkennbar zu trennen und die Schnittstellen materiell herauszuarbeiten. Durch Abstraktion und den bewussten Einsatz von Materialität wurde ein moderner und dennoch zeitloser Raum konzipiert. Detailausbildungen sind zurückhaltend und greifen in abstrakter Sprache historische Elemente in Funktion und Gestalt des ursprünglichen Gebäudes auf.
Neue Einbauten – wie Altar und Pfeifenorgel oder Wandverkleidungen – erzeugen eine historische Raumwirkung, wurden aber in der Ausführung bewusst neu interpretiert, um Neu und Alt ablesbar zu machen. Sie sind formal und farblich zurückhaltend gestaltet, um die vorhandene Qualität des Sakralraums zu stärken. Somit wurde ein Raum geschaffen, der Stille und Geborgenheit vermittelt.
Durch das Freilegen der im Original erhaltenen Holzbalken-Decke, das Wiederherstellen der abgeschrägten Fensterbrüstungen und das Zurückführen des Orgelprospekts in den Verlauf von 1937 entsprechen Raum bildende Elemente damit in Struktur und Farblichkeit wieder dem Originalzustand.Der Raumeindruck wird dabei wesentlich durch die enge Balkenlage und klare Gliederung der Decke, die glatt verputzen Wandflächen – wodurch die schrägen Fensterbrüstungen noch präziser hervorgehoben werden und wodurch mehr Tageslicht in das Innere gelangen kann – sowie das neue Beleuchtungskonzept bestimmt.
Die stabförmigen Wandleuchten im Sakralraum wurden gezielt als Gestaltungselement eingesetzt. In Verbindung mit den abgehängten Leuchten in den Seitenschiffen wurden sie in formaler Anlehnung an die Originalbeleuchtung und in der ursprünglichen Anordnung mit heutiger Beleuchtungstechnik neu interpretiert. Die übrige Beleuchtung wurde so gewählt, dass sie formal nicht in Erscheinung tritt.
Die seit den 1970er-Jahren vorhandenen Glastüren zwischen Foyer und Sakralraum wurden nach historischem Vorbild wieder geschlossen. Die beiden schwarzen Wandflächen an Eingangsbereich und Altar definieren somit den Anfang und das Ende des Raumes.
Die Nebenräume im Untergeschoss erhielten durch Trennwände größere Flexibilität und zusätzlichen Stauraum. Der neue Jugendraum setzt sich durch das Farbkonzept und seine flexible Möblierung gestalterisch bewusst ab.
Modernisiert – und wieder in historischer Raumwirkung erlebbar
Eine Besonderheit im heutigen Mehrzweckraum ist das Wandgemälde, fertig gestellt 1938, das nun sorgfältig restauriert wurde. Es stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Heinrich Kralik von Mayrswalden (geboren 1897 in Esslingen, gestorben 1958). Von ihm dürfte – wie bei der Weihe der Kirche 1937 Lempps Mitarbeiter Otto Burkhardt erwähnt hatte – auch das Glasfenster im Sakralraum, hinter dem Altar, entworfen worden sein. Kralik hatte an der Stuttgarter Akademie unter anderem bei Christian Landenberger und Heinrich Altherr studiert. Sein eigener Stil kann der Neuen Sachlichkeit zugeordnet werden.