Interview Nachstehendes Gespräch (publiziert in "Unserer Familie.
Kalender der Neuapostolischen Kirche", Ausgabe für das Jahr 2000) führten Peter Wild, Redakteur im kircheneigenen Verlag F. Bischoff/Frankfurt a.M., und Susanne Raible, Internetredakteurin und langjährige Mitarbeiterin des Bezirksapostels Kühnle: "Ich will weder rasten noch rosten" Sprichworte und Lebensweisheiten flossen in sein Dienen und prägten viele seiner Artikel. Daher verwundert es nicht, wenn Bezirksapostel Karl Kühnle, der 45 Jahre als Knecht Gottes diente und seit vier Jahren im Ruhestand lebt, über seinen neuen Lebensabschnitt die Abwandlung der geflügelten Worte setzt: "Ich will weder rasten noch rosten." In einem Gespräch erzählte er aus seiner Kindheit, seiner Tätigkeit als Knecht des Herrn und als Ruheständler. Frage: Bezirksapostel, wie geht's Ihnen im Ruhestand? Bezirksapostel Kühnle: Recht gut. Ich habe mir vorgenommen, aus Dankbarkeit gegenüber Gott, unserem himmlischen Vater, für all seine Wohltaten, die Zeit zu nutzen. Denn ich weiß nicht, ob ich's morgen noch kann. Frage: Was heißt dies konkret? Bezirksapostel Kühnle: Der Vorsteher der Gemeinde Stuttgart-Sillenbuch, zu der ich jetzt zähle, hat mich schon dann und wann zu Besuchen mitgenommen. In wenigen Tagen haben wir einen Gottesdienst mit Gästen. Seit Tagen bin ich unterwegs, suche Säumige auf oder rufe sie an, um sie in den Gottesdienst einzuladen. Und dann gibt es natürlich jede Menge Einladungen, denen meine Frau und ich kaum nachkommen können. Mit einem Satz gesagt: Ich will weder rasten noch rosten. Frage: In Ihrem Dienen und in Ihren Artikeln haben Sie oft Sinnsprüche, Lebensweisheiten eingeflochten und erwähnt. Wie kamen Sie zu dieser Fundgrube? Bezirksapostel Kühnle: Ja, das ist was Besonderes. Oft sitzt man ja im Geschwisterkreis zusammen und unterhält sich über den Gottesdienst, über Gottes Werk und vieles andere. Dabei äußert irgendjemand einen Gedanken, der mich fasziniert und in den folgenden Tagen beschäftigt. Und ganz gleich, ob bei Tag oder Nacht, wenn mir dazu etwas einfällt, schreib' ich's auf einen Zettel - während meiner aktiven Zeit als Amtsträger lagen sogar Block und Stift für Notizen auf meinem Nachttisch. Und irgendwann einmal gibt's darüber ein kurzes Gedicht oder einen Sinnspruch. Früher floss da auch mal ein Gedanke oder eine kurze Begebenheit in das Dienen im Gottesdienst ein. Ich denke jetzt beispielsweise an den Jugendtag 1983, wo ich auf dem Weg zur Halle vor einer Ampel ein Schild sah mit der Aufschrift "Bitte bis zur Haltelinie vorfahren". Denn dort lag eine Kontaktschleife. Und dieser Gedanke von der Kontaktschleife zog sich dann durch den gesamten Gottesdienst. Frage: Und da gibt es nun sicherlich einiges aufzuarbeiten. Bezirksapostel Kühnle: Ja freilich. Ich sammle und ordne jetzt alle diese Sachen. Frage: Arbeiten Sie an Memoiren? Bezirksapostel Kühnle: Na, das nicht gerade. Aber ich möchte für mich diese Dinge in Ordnung bringen. Frage: Woher kommt dieser Hang zum Schreiben? Bezirksapostel Kühnle: Ich glaube, das begann, als ich Bezirksevangelist war und mein damaliger Bezirksältester Klaiss mich bat, bestimmte Dinge für ihn zu notieren und zu erledigen. Das hielt an, als ich Bezirksältester wurde. Frage: In Ihrer Zeit als Bezirksapostel haben Sie aber auch viele Chroniken über Gemeinden oder Bücher wie beispielsweise über Apostel Schall oder "Aus Kindermund" erstellen lassen. Bezirksapostel Kühnle: Nun, ich denke, alles hat neben dem ideellen Wert auch einen dokumentarischen Zweck, denn wer wird beispielsweise in ein paar Jahren noch wissen, wie sich diese oder jene Gemeinde gegründet und entwickelt hat. Ich habe mich halt bemüht, da einen Grundstock zu schaffen. Frage: Hätten Sie denn gern einen anderen Beruf gelernt als einen kaufmännischen? Bezirksapostel Kühnle: Nun, wenn ich keine kaufmännische Lehrstelle erhalten hätte, wäre ich unter Umständen Schreiner und danach vielleicht Architekt geworden. Das hängt natürlich damit zusammen, dass mein Vater eine Schreinerei hatte und es für mich als Jungen von fünf, sechs Jahren nichts Schöneres gab, als morgens mit ihm in die Werkstatt zu gehen. Ich hab mir dann oft eine Hobelbank rausgezogen, ein Stück Holz eingespannt und auf einem Hocker kniend mit dem nächstbesten Hobel gehobelt. Dabei hat dann schon mal der von mir stumpf gemachte Hobel das Missfallen der Schreiner ausgelöst ... Aber aus dieser Zeit habe ich mir bis heute ein wenig Geschick erhalten, um jetzt im Ruhestand zu Hause auch mal das eine oder andere zu basteln. Frage: Gibt es ein Wort aus der Heiligen Schrift, einen Gedanken, von dem Sie sagen: Das charakterisiert mein Leben, meinen Glauben am besten? Bezirksapostel Kühnle: Wenn ich die Summe aller Gedanken und der mir zuteil gewordenen Gnadenerweisungen zusammenfasse, geht es mir wie dem Liederdichter, der zum Ausdruck brachte: "Wenn ich, o Schöpfer deine Macht, die Weisheit deiner Wege, die Liebe, die für alle wacht, anbetend überlege, so weiß ich, von Bewundrung voll, nicht, wie ich dich erheben soll, mein Herr und Vater" (Gesangbuch 504, Vers 1). Außerdem hat das Wort: "Die Freude am Herrn ist eure Stärke" im Buch Nehemia für mich einen besonderen Stellenwert. Ich versuche, es zu leben. Frage: Was hat Ihr Leben besonders geprägt? Bezirksapostel Kühnle: Vor allem die Krankheit meines Vaters. Er war mit einem Magenleiden aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gekommen. Deshalb fiel ihm die Arbeit in der Schreinerei nicht leicht. Und leider verstarb er viel zu früh. Seine Beerdigung fand an meinem 15. Geburtstag statt. Diesen Tag werde ich nie vergessen! Meine Mutter kam, gratulierte mir und fügte hinzu: "Aber nun haben wir keinen Papa mehr." Es war für mich und meine beiden älteren Geschwister einer der traurigsten Tage unseres Lebens. Frage: Dazu gehörten für Sie sicherlich auch die Jahre der Kriegsgefangenschaft. Bezirksapostel Kühnle: Oh ja. Es war eine grausame Zeit, die nahezu drei Jahre in Marokko. Ich habe mir geschworen: "Da willst du nie mehr hin." Und was soll ich ihnen sagen: Als meine Frau und ich 1993 auf Lanzarote im Urlaub waren, sahen wir ein Plakat, das für einen Tagesausflug nach Marrakesch warb. Nach kurzem Überlegen meldeten wir uns an. Dann habe ich den Fremdenführer gefragt, ob wir auch nach Ram Ram kämen. Er bejahte und fragte, warum ich dies wissen wolle. Und als ich ihm erklärte, ich sei dort in Kriegsgefangenschaft gewesen, musste ich im Bus den übrigen Mitreisenden einiges erzählen. Allerdings waren wir dann vom Besuch in Ram Ram etwas enttäuscht, denn von dem damaligen Kriegsgefangenenlager waren nur noch Ruinen zu erkennen. Nichts erinnerte mehr an die Verhältnisse, in denen die rund 5.000 Kriegsgefangenen damals gelebt haben. Diese Zeit hat dann bei mir dazu geführt, dass ich in vielen Gebeten immer wieder der Kriegsgefangenen gedacht habe und gedenke. Denn manches Schicksal eines Mitgefangenen habe ich nicht vergessen. Übrigens, an jenem Tag, als meine Frau und ich diesen Besuch machten, hat Stammapostel Fehr veranlasst, dass wir Marokko als Missionsland übernehmen sollten. Frage: Wo arbeiteten Sie, bevor Bezirksapostel Streckeisen Sie bat, in die Kirchenverwaltung zu wechseln? Bezirksapostel Kühnle: Ich erlernte den kaufmännischen Beruf in einer Motoren- und Maschinenfabrik in Backnang, wo ich in verschiedenen Abteilungen über 22 Jahre arbeitete. In dieser Firma waren noch viele Glaubensgeschwister beschäftigt. Anschließend war ich - bis zum Eintritt in den hauptamtlichen Kirchendienst - neun Jahre als Geschäftsführer in einer Firma in Schwäbisch Gmünd tätig. -Aus den letzten Jahren meiner beruflichen Tätigkeit in Backnang will ich noch erwähnen, dass wir Glaubensgeschwister die Mittagspause oft dazu nutzten, uns in einer offenen Halle zu treffen. Dort lasen wir in der Zeitschrift "Unsere Familie", planten die "Weinbergsarbeit" (= d.h. Mitbürger mit dem neuapostolischen Glauben bekannt machen und sie in die Gottesdienste einladen; in Anlehnung an Gleichnisse Jesu bezeichnete man als "Weinbergsarbeit") oder besprachen uns über diverse Begegnungen. Eines Tages kam der Betriebsratsvorsitzende zu mir und verlangte, wir sollten solche Zusammenkünfte über die Mittagszeit unterlassen. Als ich ihn fragte, wen diese Treffen stören würden, meinte er zunächst, einer der beiden Firmeninhaber, gab aber auf Nachfrage zu, dass es ihn störe. Was soll ich Ihnen sagen: Wir konnten diese Treffen nicht nur fortsetzen, sondern dieser Mann wurde einige Jahre später selbst neuapostolisch. Ja, so arbeitet der liebe Gott. Frage: Bedeutete es für Sie einen großen Einschnitt, als Bezirksapostel Streckeisen Sie bat, in die Verwaltung nach Stuttgart zu kommen?Bezirksapostel Kühnle: Ehrlich gesagt: Ich hatte nie an so was gedacht und wollte nie nach Stuttgart. Wenn ich auf meinen Lebensweg zurückblicke, muss ich sagen, den Weg von Unterbrüden, wo ich geboren wurde, über Schwäbisch Gmünd nach Stuttgart hätte ich selbst nie gewählt. Ich wäre gerne mit meiner Familie in Schwäbisch Gmünd geblieben, weil wir uns dort eine Existenz aufgebaut hatten und uns wohlfühlten. Frage: Gab es für Sie Vorbilder im Glauben? Bezirksapostel Kühnle: Zunächst meine Eltern, später dann mein Vorsteher, Hirte Rieger, und die Amtsträger im Gemeindebereich Lippoldsweiler, dann Bezirksältester Klaiss und ganz besonders Bezirksapostel Streckeisen. Aus der gemeinsamen Arbeit mit ihm in Württemberg, die fast zehn Jahre dauerte, hat sich eine solche Verbundenheit entwickelt, das war schon prächtig! Er war es auch, der gemeinsame Bezirksämterversammlungen einführte, die den Württemberger und Schweizer Brüderkreis zusammenwachsen ließen. Dadurch konnte ich dann den Auftrag des Stammapostels Urwyler, von 1980 bis Pfingsten 1981 als Bezirksapostel den Amtsträgern und Glaubensgeschwistern des damaligen Apostelbezirks Schweiz voranzugehen, ohne größere Anpassungsprobleme erfüllen. Frage: Und wie war's während Ihrer rund 13-jährigen Tätigkeit als Bezirksapostel in Bayern? Bezirksapostel Kühnle: Dass ein solcher Wechsel bei manchen besondere Empfindungen auslöst und der eine oder andere zunächst etwas zurückhaltend reagiert, ist doch wohl verständlich. Aber in gemeinsamer Arbeit mit vielen treuen Mitarbeitern erfüllten sich bald die Worte: "Da den Herrn wir aufgenommen, kommt uns auch sein Diener recht!" Frage: Eine andere enge Verbindung entstand während Ihrer aktiven Zeit als Apostel auch zum Verlag Friedrich Bischoff. Wie kam es dazu? Bezirksapostel Kühnle: 1976 hatte Stammapostel Streckeisen ein Gremium gegründet, das aus den Bezirksaposteln Friedrich Bischoff, Robert Higelin, Hans Urwyler und mir bestand. Wir bekamen den Auftrag, den Verlag in seiner Arbeit zu unterstützen und die Zusammenarbeit aller Apostel mit dem Verlag zu fördern und auszubauen. Stammapostel Urwyler hat dann nach seiner Amtsübernahme die Bezirksapostel Richard Fehr und Klaus Saur in dieses Gremium berufen. Als im Herbst 1979 bekannt wurde, dass ein Grundstück in der Gutleutstraße verkauft werden sollte, erhielt ich als Vorsitzender dieses Gremiums von Stammapostel Urwyler den Auftrag, die Kaufverhandlungen zu führen, das Anwesen treuhänderisch auf den Namen der Neuapostolischen Kirche in Württemberg und Hohenzollern zu erwerben und den Neubau des Verlagsgebäudes von Stuttgart aus zu planen. Das Gebäude wurde schließlich am 12. Februar 1982 durch Stammapostel Urwyler eingeweiht. Frage: Was empfanden Sie, als Ihnen Stammapostel Urwyler den Auftrag gab, in Sierra Leone mit der Missionsarbeit zu beginnen, bzw. sie zu übernehmen? Bezirksapostel Kühnle: Ich habe mich gefreut. Dieses Land haben wir von Hessen übernommen und Gottes Werk dort weiter aufgebaut. Noch heute bin ich dankbar dafür, dass wir recht früh damit begonnen haben, einheimische Amtsträger zu unterweisen. Dafür haben wir so genannte Manuals, also Handbücher, herausgegeben. Manches bei unserer Tätigkeit in diesem westafrikanischen Land war mühsam, aber sie hat sich gelohnt, wenn wir heute auf die dortigen Amtsträger und Glaubensgeschwister blicken. -Aus Anlass des Besuchs von Stammapostel Fehr in Sierra Leone im November 1990 haben wir eine Dokumentation über unsere Tätigkeit dort gefertigt, wobei das Geleitwort aus Psalm 60 bis heute gilt: "Mit Gott wollen wir Taten tun!" Übrigens, im Lauf der Jahre kamen weitere rund 30 Gebiete in Afrika, Osteuropa und der Golfregion hinzu, die unter demselben Motto betreut wurden und werden. Frage: Zu welchem Ergebnis kommen Sie, wenn Sie die heutige Zeit einmal mit jenen Tagen vergleichen, in denen Sie begannen, Zeugnis vom neuapostolischen Glauben zu bringen? Bezirksapostel Kühnle: Ein solcher Vergleich hinkt immer. Als ich Ende der 40er-Jahre mit in die "Weinbergsarbeit" ging, waren die Menschen aufgeschlossener als heute. Damals herrschte halt vielerorts Armut; durch die Not war mancher empfänglicher für Glaube und Religion. Heute, wo man fast alles haben kann, hat kaum jemand Interesse oder Zeit, um sich darüber zu unterhalten. Es ist für die Amtsträger und Glaubengeschwister heute sehr schwierig geworden, Zugang zu den Menschen zu finden, um sie mit unserem Glauben vertraut zu machen. Doch Beten und Arbeiten wirken auch heute noch Wunder!