Interview mit Dr. Hemminger
Dr. Hemminger schildert Eindrücke aus den Gesprächen mit Vertretern der NAK Insgesamt sieben Kirchenvertreter nahmen an den offiziellen Gesprächen teil, die die Neuapostolische Kirche Süddeutschland mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Baden-Württemberg im Jahr 2002 führte.
Der 54-jährige Beauftragte für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Dr. Hansjörg Hemminger, war maßgeblich an deren Zustandekommen beteiligt. Seit 1995 arbeitet er in dieser Position beim Evangelischen Gemeindedienst Württemberg. Zuvor war er Referent an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, als diese ihren Sitz noch in Stuttgart hatte.
GlaubensKultur: Herr Dr. Hemminger, Sie sind hier in Württemberg der evangelische Fachmann für die Neuapostolische Kirche. Wann hatten Sie eigentlich das erste Mal Kontakt mit unserer Glaubensgemeinschaft?
Dr. Hemminger: Ich stamme aus dem Nord-Schwarzwald, wo die NAK - zumindest im württembergischen Teil - sehr stark ist. In Baiersbronn-Mitteltal, wo ich jetzt wohne, ist sie die zweitstärkste Religionsgemeinschaft, nach der evangelischen Kirche und vor der katholischen. Das ist natürlich ungewöhnlich, aber Sie können sich vorstellen, dass sie mir dort ständig begegnet: in meiner Jugend durch Mitschüler, später hatten meine Kinder neuapostolische Klassenkameraden. Die Alltagskultur der NAK war mir also schon länger bekannt, noch bevor ich ihr Bekenntnis gelesen habe.
GlaubensKultur: Unterschied sich diese Alltagskultur sehr von ihrer evangelischen?
Dr. Hemminger: In vieler Hinsicht ja. Z.B. die Gesprächskultur war deutlich anders: Obwohl die frommen Nordschwarzwälder nicht die Streitsüchtigsten sind, war es doch markant, wie sich die NAK durch eine unheimliche Friedlichkeit auszeichnete. Dort schien nie jemand andere Ansichten zu haben, als sie offiziell vorgegeben waren. Sie hatte einen starken Zusammenhalt im Alltag, was ich besonders bei einer neuapostolischen Familie mit einem behinderten Kind positiv bemerkte. Diese wurde sehr gut durch die Gemeinschaft unterstützt, um mit dem Alltag fertig zu werden. Auf der anderen Seite habe ich aber auch erlebt, dass neuapostolische Jugendliche gerade in der Pubertät, wo "dagegen sein" ja zur Entwicklung gehört, Schwierigkeiten hatten, die üblichen Ablösungsprozesse halbwegs über die Bühne zu bringen und sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Die Fähigkeit, in der Familie zu streiten, war bei uns Evangelischen doch sehr viel größer.
GlaubensKultur: Wann begann Ihre kritische Auseinandersetzung mit der NAK?
Dr. Hemminger: Eigentlich erst im Amt. Seit 1985 bin ich in diesem Fachgebiet tätig, und da stellte sich die NAK schnell von einer anderen Seite dar: als Quelle beratungsbedürftiger Personen. Da ich aus der Verhaltensbiologie und Psychologie kam, häuften sich bei mir die schwierigen psychologischen Fälle. Mittlerweile könnte ich fast so eine Art Psychogramm skizzieren, wie man neuapostolisch sein muss, damit man Probleme bekommt: Einerseits ist ein übersteigerter Konformitätsdruck vorhanden, ein großes Harmoniebedürfnis, andererseits eine unterschwellige Angst, diese Harmonie könnte verloren gehen. So ein Druck macht Ablösungsprozesse und die Selbstfindung außerordentlich schwierig. Deshalb häufen sich Schwierigkeiten in der Pubertät und später dort, wo Beziehungskonflikte sind. Also da, wo man eigentlich über Differenzen reden müsste, konfliktfähig sein müsste, um die Beziehung wieder in Ordnung zu bringen. Das ist aber nicht möglich, weil man nie gelernt hat, verschiedener Meinung zu sein.
GlaubensKultur: Haben Sie Beispiele für diesen Eindruck?
Dr. Hemminger: Nehmen wir eine Frau, die sich mit 40, wenn die Kinder aus dem Haus sind, eigentlich neu orientieren müsste, aber nicht weiß, wie sie das ihrem Mann sagen soll, weil sie in ihrem Leben noch nie etwas gesagt hat, was nicht konform war. - Ich erinnere mich da an einen Problemfall, wo der Ablöseprozess einer jungen Frau von ihrer Familie mit den Worten kommentiert wurde: "Das bringt deinen Vater ins Grab"; ein Amtsträger auf mittlerer Ebene. Das setzte sie so unter Druck, dass sie Angstsymptome bekam. Ihr musste dann klar gemacht werden, dass Eltern nicht das Recht haben, Bindungen über Angst aufrecht zu halten. Irgendwie taucht diese Betonung des Gemeinschaftlichen auf Kosten der Freiheit immer wieder bei Neuapostolischen auf. - Ein inhaltlicher Dogmatismus, wie wir ihn bei den Zeugen Jehovas haben - jemand hat die "absolute Wahrheit" fertig verpackt in Sätze vor sich und zwingt jeden dazu, "ja" oder "nein" zu sagen - taucht in ihr dagegen nicht auf. Die NAK ist sicherlich keine dogmatisch-fanatische Gruppe. In ihr kann man ganz gut leben, solange man keine besonderen Ablöse- oder Konfliktbedürfnisse hat.
Binnenklima der NAK ist gesprächsbereit
GlaubensKultur: Wann hatten Sie zum ersten mal mit einem offiziellen NAK-Vertreter Kontakt?
Dr. Hemminger: Wenn Kontakt heißt, jemand springt in einem meiner Vorträge auf und sagt: "Ich habe die und die Funktion und muss hier etwas richtig stellen!", dann hatte ich schon recht früh Kontakt mit NAK-Vertretern. Im schwarzen Anzug und tiefer Stimme verraten sie im Brustton der Überzeugung, gleich in den ersten zwei Sätzen, dass sie im Grunde nicht viel über ihre eigene Gemeinschaft wissen. - Harmlose Leute im Prinzip, die es auch in der Politik zu Genüge gibt. Wirklichen Kontakt habe ich schon seit einigen Jahren durch meine Unterrichtsverpflichtung am Evangelischen Seminar in Unterweissach bei Backnang. Dort gehe ich einmal im Jahr mit meinen Grundkurs Religions- und Kirchenkunde in einen neuapostolischen Gottesdienst.
GlaubensKultur: Und wie ist es da so?
Dr. Hemminger: Die sind dort sehr nett und gastfreundlich. Jedes Mal spielt eine wirklich gute Musikgruppe. Ansonsten halten sie sich aber an die Absprachen und machen nichts anderes, damit wir den Gottesdienst authentisch mitbekommen. Hinterher führen wird immer noch ein Nachgespräch. In dieser Runde sitzen dann die ganzen Amtsträger, und ihre Frauen dürfen die Vasen mit den frischen Blumen hereintragen. - Das ist mir auch ganz recht so, denn so haben meine weiblichen Studenten gleich ihre erste Frage: wie ist die Rolle der Frau in der NAK? Damit sind wir meistens mitten im Gespräch und bisher hat sich jedes Mal bestätigt, dass das Binnenklima der NAK nicht fanatisch ist, sondern durchaus gesprächsfähig, eher ein bisschen ängstlich. Offizielle Kontakte mit höheren Amtsträgern hatte ich eigentlich erst durch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) hier in Baden-Württemberg.
GlaubensKultur: Wann haben diese offiziellen Kontakte angefangen?
Dr. Hemminger: Die ACK-Gespräche waren das Ergebnis einer Initiative von Volker Kühnle, so 1998/99. Er trat damals an ihre Mitgliedskirchen heran (die Diözesen Stuttgart und Freiburg auf katholischer Seite und die Landeskirchen Baden und Württemberg auf evangelischer) und führte Einzelgespräche. Damals wohl schon mit einem Auftrag des Stammapostels im Hintergrund.
In der württembergischen Landeskirche gab es daraufhin eine gewisse Hilflosigkeit, wie man mit ihm umgehen sollte. Es war zu spüren, dass ihm das wichtig war, aber - und das ist eine Schwäche der großen Kirchen - der Oberkirchenrat in Stuttgart hatte Mühe, die Bedeutung der Initiative für die NAK richtig einzuschätzen. Das kann natürlich kränkend für den sein, der da anfragt. Das sehe ich selbstkritisch. Der Eindruck: "bei 2 Millionen Mitgliedern haben wir Schwierigkeiten, euch wahrzunehmen", dürfte eigentlich nicht entstehen. Es war aber ein bisschen so, bei der katholischen Kirche übrigens genau dasselbe. Er muss sich damals schon ziemlich hin- und hergereicht gefühlt haben. - Damals sagte ich: das können wir so nicht machen; wir brauchen eine Ebene, auf der das Gespräch sinnvoll ablaufen kann. Das war dann die ACK. Die beauftragte aber erst nach langem Zögern eine Gesprächsgruppe. Dass das so lange gedauert hat, lag also nicht an der NAK, sondern wirklich an den großen Kirchen.
GlaubensKultur: Wie haben Sie in dieser Zeit das Engagement von Apostel Kühnle wahrgenommen? Er war damals Öffentlichkeitsbeauftragter der Gebietskirche. Dachten Sie nicht: der will nur "gut Wetter" machen?
Dr. Hemminger: Nein, ich habe ihn als einen außerordentlich fähigen und geschickten Verhandlungsführer wahrgenommen. Ehrlich gesagt hatte ich vorher der NAK solche Leute gar nicht zugetraut. Ich glaube auch noch immer, dass sie nicht viele von diesem Format hat. - Am Anfang hatte ich Zweifel, wie typisch er für die NAK ist: Ob er ein progressiver Außenseiter ist, den man aus PR-Gründen eingesetzt hat, oder ob er wirklich für verändernde Kräfte in der NAK steht. Das haben mich damals übrigens auch andere Leute gefragt. - Inzwischen denke ich schon, dass er kein Einzelgänger ist, sondern dass er tatsächlich für Veränderungsbedürfnisse in seiner Kirche steht. Aber dass er Mehrheitspositionen vertritt, das glaube ich noch immer nicht.
GlaubensKultur: Bezieht sich "Mehrheit" auf die Amtsträger oder auf die Gesamtheit der Mitglieder?
Dr. Hemminger: Auf die praktizierenden Mitglieder. Ich glaube, dass in der NAK höchst unterschiedliche Strömungen vorhanden sind, die aber nicht offen diskutiert werden. Nicht, weil aktiv dagegen gesteuert wird, sondern weil das eine Grundschwäche der NAK ist. Gerade jüngere Neuapostolische scheinen ein starkes ökumenisches Interesse zu haben. Sie betonen in Gesprächen die Gemeinsamkeit mit der gesamtchristlichen Situation und haben für lebensweltliche Abgrenzungen kein Verständnis. Da höre ich dann so Sätze wie: "Wenn ich ein Mädchen aus dem CVJM kennenlerne, wo soll da das Problem liegen?" Das ist zwar unreflektiert gesprochen, aber im Prinzip eine ökumenische Grundhaltung. Auf der anderen Seite verspüre ich bei Älteren eine aggressive Bitterkeit, als würde man durch solche ökumenischen Gedanken etwas verlieren. "Wir haben uns Jahrzehnte bemüht, unsere Erwählung zu pflegen - jetzt soll das plötzlich alles nicht mehr wichtig sein?" - "Sind wir dann überhaupt noch was Besonderes?", fragen sie. Und als Protestant frage ich dann zurück: Warum willst du überhaupt was Besonderes sein?
GlaubensKultur: Ist es eigentlich nicht legitim zu sagen: ich enthalte mich des ganzen "Trubels dieser Welt" und bin dann etwas Besonderes?
Dr. Hemminger: Nein. Diese Vorstellung gab es in der ersten christlichen Kirche zur Zeit der Wüstenväter. Dann gab es aber eine Überwindung der Weltflucht durch die Entwicklung des frühen Mönchtums der Benediktiner. Benedikt setzte ja den klassischen Satz "ora et labora" - man bete und(!) man arbeite. Dieser Ansatz ist völlig richtig, egal, was später aus dem Mönchtum wurde. Zentraler christlicher Punkt ist ja gerade das "in der Welt sein" und sich darin von anderen zu unterscheiden. Und das kann man nur machen, wenn man sich auf die "Welt" einlässt, sich auch mal die Finger schmutzig macht. Nur dann hat der Unterschied einen Wert. Was ist das für eine Leistung, wenn man sich selbst ins Einmachglas setzt und danach rein bleibt?
GlaubensKultur: Hat die ablehnenden Haltung der Älteren gegenüber den großen Kirchen nicht vielleicht auch damit zu tun, dass sie gerade in den 1950er/60er-Jahren seitens der Evangelischen Kirche immer wieder angegriffen wurden?
Dr. Hemminger: Es ist immer eine schwierige Frage, wer bei einem solchen Prozess der Ausgrenzung die treibende Kraft war. In diesem Fall stimmt das nicht. Wenn Sie lesen, was Kurt Hutten, der Gründer der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, in seinem Standardwerk "Seher, Grübler, Enthusiasten" in dieser Zeit über die NAK schrieb, dann war das nicht so aggressiv. Natürlich, als Protestant kann er sich nicht mit der Idee des Stammapostelamtes anfreunden, genauso wenig wie mit dem Papsttum. Aber er beobachtete diesen Versuch, sich des Heils durch das Amt zu vergewissern, durchaus mit Verständnis.
Man muss aber auch sehen: in dieser Zeit hatte die NAK objektive sektiererische Tendenzen. Stichwort Bischoff - mit welchem Fanatismus hat der seine internen Kritiker aus der Kirche gedrängt!
GlaubensKultur: Wurde Ihnen bei den Besprechungen klar, welche Einstellung die NAK-Vertreter gerade zu diesem Thema "50er/60er-Jahre" haben?
Dr. Hemminger: Volker Kühnle ist einer der ganz wenigen Neuapostolischen, der klug genug ist, das Thema selbst gleich auf den Tisch zu bringen. Er sagte klipp und klar: "davon wollen wir weg". - Er will weg von Bischoff, von dieser Art, mit dem Amt umzugehen, von der massiven Überhöhung des Stammapostelamtes und seiner Heilsbedeutung. Mir erscheint es so, als wolle er eher ein Amtsverständnis, das näher an der katholischen und orthodoxen Tradition liegt. Dass sich zwar die Autorität der Apostel fortsetzt, aber nicht der Eindruck entsteht, der Stammapostel würde Christus Konkurrenz machen. Und ich habe bei ihm den Eindruck, dass das kein PR-Trick ist.
Durchweg positiver Eindruck bei den ACK-Mitgliedern
GlaubensKultur: Hatten Sie auch den Eindruck, dass man neuapostolischerseits bereit ist, die Sakramentsspendung einer anderen Kirche anzuerkennen?
Dr. Hemminger: Ich denke, dass Apostel Kühnle persönlich damit überhaupt keine Probleme hätte. Aber er hätte auf jeden Fall Vermittlungsprobleme. Nach all den Gesprächen hatte ich den Eindruck, sein Hauptleiden ist: "Wie sag ich es meinen Konservativen?"
GlaubensKultur: Welche Rolle spielten die anderen NAK-Vertreter in diesen Gesprächsrunden?
Dr. Hemminger: Volker Kühnle schien eine Vordenkerrolle zu haben. Herr Johanning liegt nach meinem Eindruck inhaltlich auf derselben Linie, wenn auch mehr mit publizistischen Interessen. Zu Bischof Bansbach kann ich nicht viel sagen. Bei Herrn Fröhlich hatte ich den Eindruck, dass für ihn konservative Bedenken wichtiger sind. Aber das hat unsere Gespräch nicht belastet.
GlaubensKultur: Wie sahen die konservativen Bedenken aus?
Dr. Hemminger: Es schien in der neuapostolischen Delegation gewisse Unterschiede in der Frage zu geben, wie hoch ihr "Sondersakrament", die Versiegelung, bewertet werden soll. Aber das ist normal, dass in einer religiösen Gemeinschaft Änderungen vorsichtiger oder auch forscher angegangen werden können.
GlaubensKultur: Haben Sie mitbekommen, welchen Eindruck Ihre Kollegen von den NAK-Vertretern hatten?
Dr. Hemminger: Der Eindruck war durchweg positiv. Unterschiedlicher Ansicht sind wir allerdings immer noch darin: wie meinen die das eigentlich? Da gibt es Leute, die misstrauischer sind als ich und sagen: "Naja, denen bläst jetzt intern der Wind ins Gesicht; die müssen mit uns reden, damit sie ihre Kritiker außen und innen beschwichtigen können."
GlaubensKultur: In der Presseerklärung war zu lesen, "hinsichtlich des Kirchenverständnisses und der Lehrtraditionen zu Amt und Geist" bestünden "erhebliche Bedenken". Welche denn?
Dr. Hemminger: Bedenken, eine Gemeinschaft in die ACK aufzunehmen, bestehen in der Regel auf zwei Ebenen: Entweder sind es theologische Bedenken, wenn die Lehre sich so weit von der christlichen Tradition entfernt ist, dass es die tragbaren Unterschiede übersteigt - oder die praktischen Erfahrungen im Alltag sind so schlecht, z.B. bei Absprachen und Verlässlichkeit, dass eine Partnerschaft schwer in Frage kommen kann. Die Formulierung bedeutet deshalb: unsere Bedenken liegen nicht auf dieser praktischen Ebene. Sie gelten der Lehrtradition, und da einem entscheidenden Punkt: der Lehre von der Verbundenheit des Heiligen Geistes mit dem Apostelamt. Und die steht leider nicht nur irgendwo in "Fragen und Antworten", sondern im Glaubensbekenntnis.
GlaubensKultur: Wie könnte Ihrer Ansicht nach eine Alternative aussehen? Soll jeder neuapostolische Amtsträger versiegeln können, oder vielleicht gar keiner mehr?
Dr. Hemminger: Das ist nicht der Punkt, die Apostel können ruhig weiter versiegeln. Das Problem ist, und ich glaube, da haben die NAK-Vertreter etwas gelernt, dass die derzeitige Formulierung im Glaubensbekenntnis für alle anderen christlichen Kirchen zwingend bedeutet, dass sie ohne den Heiligen Geist auskommen müssen. Denn sie haben ja nicht das Apostelamt, das den Geist vermittelt. D.h. ich, der Papst und alle nicht-neuapostolischen Christen sind von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes ausgeschlossen. Das ist doch absurd! Es bedeutet ja auch - und das war ihnen sicherlich vor unseren Gesprächen gar nicht klar - dass alle diese anderen Kirchen gar keine Kirchen sind. Denn in der christlichen Tradition bezeichnet dieser Begriff auch die Gemeinschaft derer, die an Christus glauben und vom Geist geführt werden. Das macht sich kein neuapostolischer Christ wirklich klar, welche Anmaßung in seinem Glaubensbekenntnis enthalten ist.
Wir haben den NAK-Vertretern gesagt, dass auf dieser Grundlage eigentlich keine Gemeinschaft möglich ist. Sie müssen zuerst anerkennen, was sowieso biblisch ist: Der Geist weht, wo er will.
GlaubensKultur: Haben Sie in dieser Angelegenheit Denkbereitschaft signalisiert bekommen?
Dr. Hemminger: Schon, aber was im Glaubensbekenntnis steht, das wird man schwer wieder los. Das war ein gravierender historischer Fehler. Vielleicht könnte die NAK sagen: "Wir haben erkannt, dass der Geist Gottes weht, wo er will - wir vertrauen aber zuversichtlich darauf, dass er durch die Heilige Versiegelung gespendet wird." Es wäre ja auch schon ein Fortschritt, wenn sie in die Neuausgabe von "Fragen und Antworten" hinein schreiben würde: "Der Geist Gottes wirkt in anderen christlichen Gemeinschaften und Kirchen nach deren Geschichte und Glauben", dann bräuchte man am Glaubensbekenntnis vielleicht gar nicht unbedingt etwas zu ändern.
GlaubensKultur: Sonst gibt es wirklich keine Punkte, die einer Aufnahme entgegenstünden?
Dr. Hemminger: Nein, nur das ist entscheidend. Sonst haben wir ja auch in der ACK eine Menge Sonderbräuche. Natürlich gibt es noch die Bedeutung des Stammapostelamtes. Die sollte wirklich so weit heruntergefahren werden, dass der Unterschied zu Jesus Christus deutlich ist.
GlaubensKultur: Waren Sie nicht überrascht, dass die NAK-Vertreter die Anerkennung der christlichen Taufe einer anderen Gemeinschaft betonten?
Dr. Hemminger: Doch, das war eine gewisse Überraschung. Im Verlauf dieser Gespräche war jedoch schon abzusehen, dass die Kommission der NAK Kompromisse diskutieren wird, die ohne interne Streitigkeiten machbar sind. Ich vermute, dass man eine solche Formulierung gerade noch so vor den Altvorderen vertreten kann.
GlaubensKultur: Ist so eine Vorsicht gerechtfertigt?
Dr. Hemminger: Wenn man das Ziel bejaht, die NAK ohne Spaltungen und innere Konflikte ökumenefähiger zu machen, dann ist das richtig so. Mir ist es auch nicht egal, ob sie sich spaltet. Denn ich weiss, dass ein abgespalteter, konservativer Flügel der NAK schlimmer wäre als alles, was die NAK jetzt schon an Problemen verursacht.
GlaubensKultur: In dem Kommunique steht auch: "es bedarf hinsichtlich der Eschatologie weiter Klärung". Was heißt das?
Dr. Hemminger: Es tauchte die Frage auf, ob die NAK als prämillenaristische Gemeinschaft nicht auch hier andere Gemeinschaften abwertet: Zuerst werden die treuen Neuapostolischen entrückt, dann kommt das Friedensreich und dann die Erlösung zweiter Klasse für die restlichen Christen. - Das ist aber nicht annähernd so krass, wie wenn man sagt: ihr habt den Geist nicht. Denn bei Spekulationen über die Endzeit kann man gelassen sagen: Das werden wir ja sehen, ob da nicht auch wir dabei sind.
Sonderregelung für Anstellung an konfessionellen Einrichtungen denkbar
GlaubensKultur: Ein weiterer Punkt im Kommunique ist nicht so ganz klar. Was sind "pastorale Fragen"?
Dr. Hemminger: Da hat sich ein katholischer Ausdruck eingeschlichen. Das sind seelsorgerische Fragen. Die sollen zukünftig, falls es zu weiteren Absprachen kommt, nicht formal behandelt, sondern vor Ort gelöst werden. Gerade z.B., wenn Familienstreitigkeiten ausbrechen: Da will die 18-jährige Tochter ausziehen, weil sie in einen katholischen Jungen verliebt ist, was ihre neuapostolische Familie natürlich entsetzt. Da sollte dann so gehandelt werden, dass man um Ausgleich bemüht ist und zum Wohl aller Beteiligten. - Das haben die NAK-Vertreter auch so gesehen, aber es ist natürlich die Frage, ob das vor Ort auch tatsächlich so gemacht wird.
GlaubensKultur: Aus Sicht der NAK gibt es ein schmerzhaftes Problem: die Einstellung von neuapostolischen Mitarbeitern in konfessionellen Organisationen...
Dr. Hemminger: Ja, das lag ihnen sehr auf der Seele. Das Problem ist die ACK-Klausel. Es gibt eine Absprachen unter allen ACK-Kirchen, dass ihre Einrichtungen gegenseitig einstellungsfähig sind. D.h. eine evangelische Krankenschwester kann auch von einer katholischen Sozialstation angestellt werden. Die NAK-Vertreter haben gesagt, dass sie es als sehr belastend empfinden, wenn z.B. ein konfessioneller Kindergarten eine neuapostolische Kindergärtnerin nicht einstellt, weil die NAK nicht in der ACK ist. Umgekehrt hat dieser Kindergarten aber überhaupt keine Probleme, eine nicht praktizierende Katholikin einzustellen. "Warum traut man der aktiven Christin aus der NAK nicht zu, dass sie kleinen Kindern christliche Werte vermitteln kann?", hat Volker Kühnle gefragt. - Da hat er im Einzelfall sicherlich recht, und eine Ablehnung mag für den Einzelnen auch sehr hart sein. Aber wir haben gesagt: Ökumene muss auch etwas wert sein. Man kann nicht aus einer Geschichte kommen, wo man anderen das "Kirchesein" abgesprochen hat, und dann meinen, das hätte überhaupt keine praktischen Konsequenzen. In den nächsten Gesprächsrunden wollen die Beteiligten näher auf diese Thematik eingehen, vielleicht könnte man ja eine Sonderregelung treffen. Z.B. eine Einzelfallklausel: hier wird nicht automatisch entschieden, sondern der Fall angeschaut. Das ist schon möglich, die ACK ist nicht so gusseisern auf eine Prozedur festgelegt.
GlaubensKultur: Wie schätzen Sie die karitativen Aktivitäten der NAK ein?
Dr. Hemminger: Das Defizit an karitativen Projekten scheint sie ja erkannt zu haben. Aber man muss der Kirchenleitung noch klar machen, dass das nicht irgendwelche Finanzen sind, die man eben auch noch ausgibt, sondern dass ein diakonisches Engagement für die Umwelt nach voller Überzeugung aller ACK-Kirchen eine unverzichtbare Lebensäußerung einer christlichen Kirche ist, in die ein nicht unerheblicher Teil der Mittel fließt. Eine Einzelspende an eine karitative Einrichtung, wie sie jetzt immer öfter geschieht, ist zwar lobenswert und sieht in der Presse gut aus. Verglichen mit den Summen die andere Kirchen aufwenden, ist das im Etat der NAK gar nichts. Und das hat nichts mit Groß- oder Kleinkirche-Sein zu tun. Auch die Methodisten verwenden beispielsweise ca. 10% ihrer Bruttoeinnahmen für karitative Zwecke.
GlaubensKultur: Ab wann würden Sie sagen, ist das karitative Engagement der NAK ok?
Dr. Hemminger: Das kann man nicht quantitativ festlegen. Vielmehr muss man eine Entwicklung sehen. Zu Bischoffs Zeiten war so etwas ja völlig unwichtig - Hauptsache, alle werden in den Himmel geschaufelt. Mittlerweile hat sich da ja schon ein bisschen was getan.
GlaubensKultur: Für Ende Juni kommenden Jahres sind weitere Gespräche vorgesehen. Was steht auf der Agenda?
Dr. Hemminger: Vermutlich werden praktische Fragen besprochen. Mein Vorschlag war, dass die NAK in Absprache mit der ACK eine Art Handreichung erarbeitet, wie die Amtsträger vor Ort mit ökumenischen Beziehungen umgehen sollen: Was ist möglich, z.B. Zusammenarbeit im karitativen, kulturellen Bereich, bei der Pflege guter Beziehungen? Warum sind gemeinsame Gottesdienste nicht möglich? Was darf der anlässlich eines Gemeindejubiläums eingeladene katholische Pfarrer und was nicht? - Dann wissen wir auch mal, was erlaubt ist und was nicht und wohin wir gehen können, ohne unsere Identität zu verlieren.
GlaubensKultur: Was war für sie das Überraschendste an diesen Gesprächen?
Dr. Hemminger: Die Offenheit der NAK-Delegation, mit der sie auch Einblick in ihre inneren Schwierigkeiten gegeben hat. Als Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter ist man ja eigentlich gewohnt, dass man zwischen den Zeilen lesen muss. Dass das meiste schon im Text steht, war für mich neu.
GlaubensKultur: Herr Dr. Hemminger, vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Michael Koch am 25.11.2002.
© Magazin GlaubensKultur.de - Wuppertal, 2002
Abdruck mit freundlicher Genehmigung.